Sonntag, 14. Juni 2009

Science-Fiction schafft neuen Mythos oder wie viel Fiktion enthält ein Fakt?

Fiktion vs. Mythologie – Wie wir in der Gruppe schon diskutiert haben, zeigen beide Sachverhalte dieselben Entstehungsmuster auf. Der Unterschied ist dennoch, dass die Fiktion in der Nullwelt des Autors beginnt und mit Fiktionen ausgeschmückt werden. Der Mythos hat seinen Endpunkt in der Nullwelt des Autors, bezieht sich auf einen Fakt und ist in der Vergangenheit mit Annahmen ausgekleidet worden.
Wie viel Fiktion ein Fakt enthält wird deutlich, wenn man beispielsweise folgenden Mythos der griechischen Antike betrachtet:
Die Musen inspirieren Künstler und das tun sie auch heute noch. Der sogenannte Musenkuss gibt dem Dichter den genialen Einfall.
Ursprünglich heißen die Musen übersetzt auch „die Erinnernden“. Sie dienten schon dem griechischen Dichter Homer als Gedächtnishelferinnen. O selig, wen immer die Musen lieben; denn süßer Gesang wird seinem Munde entströmen (Homer: An die Muse und Apollon). Natürlich kann heute niemand mehr bezeugen, ob es die Musen wirklich gab. Fiktion an der Sache ist aber sicherlich die Tatsache, dass der Dichter nur durch sie sein Talent erlangte. Fakt ist aber, das der Dichter sein Talent preis gab. Wir haben also eine Fiktion, die einen Fakt als Ergebnis hat. Der Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.) beginnt die Theogonie mit einer Lobpreisung auf die Musen, indem er erwähnt, dass sie ihm das Wissen und die Dichtgabe verliehen haben. Der Dichter selber glaubt also, dass sein Talent nicht durch ihn selber, sondern durch eine Fantasiefigur, vielleicht sogar in Gestalt einer realen Frau, die ihn inspiriert hat, erlangt hat. Es ist der Glaube an Magie, an die magischen Fähigkeiten der Musen. Ein romantischer Gedanke, der mit Sicherheit auch seinen Fakt hat. Wenn eine Person eine andere so sehr fasziniert, dass sie sie dazu bringt eine Reihe von Gedichten zu verfassen oder Musik zu komponieren, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die sogenannte Muse faktisch der Grund dafür ist. Das Talent aber, mit dem der Künstler seinen Erfolg erzielt, ist der Fakt, das Ergebnis, nicht das, was die Muse ihm gab. An diesem Mythos sehen wir, dass er seinen Ursprung in der Fiktion, etwas Fantastischem hat, das Ergebnis aber ein Fakt ist.
Science-Fiction geht in die umgekehrte Richtung. Der Autor geht von etwas aus, was vielleicht einmal sein wird. Es stellt sich dem Leser als Fiktion hin, ist aber vielleicht ein hypothetischer Fakt. Schafft der Autor damit vielleicht einen modernen Mythos?

Quellen:
Dommermuth-Gudrich, Gerold, 50 Klassiker Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antik, Hildesheim: Gerstenberg 2003. S.176ff.

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